Martin und der Kater Nacho
Helga und Michael Brunschmid über den Verlust eines Kindes
Nacho rollt sich gemütlich auf der Sitzbank von Helga und Michael Brunschmid zusammen. Nacho ist ein schöner Kater, der als eine Handvoll, von seiner Mutter verstoßenes, Kätzchen vor zehn Jahren zur Familie kam. Es war am Tag nach Martins Unfalltod. Martin, Anfang 20, war derjenige, der den Hof eines Tages von den Eltern übernehmen wollte. Die ganze Familie und alle Freunde der Kinder kümmerten sich hingebungsvoll um das zarte Leben des Katers.
Ich darf mit Helga ein Interview über den großen Verlust von Martin führen, während Nacho wie ein kleines lebendiges Andenken an Martin neben uns ist.
Helga, gibt es Worte für das, was mit diesem Schicksalsschlag passiert?
Es ist ein Schock, man ist fassungslos, man fühlt sich trostlos- so als ob die Welt untergehen will. Auch heute noch fehlen mir die Worte, um das auszudrücken, was mit einem passiert.
Was hat in dieser persönlichen Katastrophe unmittelbar geholfen?
Wir haben zusammengeholfen, wir als Familie und der Freundeskreis unserer Kinder. Die jungen Erwachsenen waren da, auch unendlich traurig, aber auch ab und zu unbekümmert. Keiner von uns hat sich gänzlich zurückgezogen. Wir mussten auch funktionieren. Die Tiere mussten versorgt werden, die Arbeit in der Landwirtschaft und unsere Aufgaben. Ich war damals recht frisch in der Funktion als Vizepräsidentin. Sich diesen Aufgaben sehr konzentriert zu widmen war gut.
Dann gab es viele Menschen, die eine ehrliche und herzliche Anteilnahme zeigten. Man spürt so genau, ob jemand ein Mitgefühl hat, oder sich nur mit den eigenen Gefühlen auseinandersetzt.
Sehr hilfreich waren auch praktische Unterstützungen. Jemand, der ein Essen vor die Tür stellt, oder mit einem Essen geht, obwohl man sich nicht gerade an irgendetwas erfreuen kann.
So viele Helfer*innen- wieder vor allem die Jungen waren da und haben uns ans Leben erinnert.
Was hast du als gar nicht hilfreich empfunden?
Wenn jemand so traurig, ja fast hysterisch war in der Anteilnahme, dass ich das Gefühl hatte, ich muss die Person trösten. Ja, es ist ein unfassbares Ereignis. Aber es tut einem nicht gut, wenn du in den Augen deines Gegenübers siehst, das ist nicht zu schaffen.
Auch wenn Menschen ausstellen. Es wäre schon leichter, wenn sie sagen- ich weiß gar nicht was ich sagen soll, aber ich bin hier und stehe dir zur Seite.
Wird es irgendwann leichter?
Ich habe mit der Zeit gelernt, den Raum der Trauer nicht immer zu betreten. Wenn ich gut beschäftigt bin, wenn wir als Familie zusammen sind, dann fällt es mir leichter, diesen Ort des Schmerzes nicht aufzusuchen. Da habe ich auch das Gefühl, ich kann das gut steuern.
Wenn ich allein bin, dann tut es manches Mal so weh, wie wäre es gerade passiert. Ich bin aber überzeugt, dass es so sein muss.
Wirklich schwer sind auch die Geburtstage, Festtage und besondere Anlässe. Da braut sich in mir eine sehr traurige Stimmung zusammen, die sich dann mit dem Tag nach dem Gedenktag wieder auflöst.
Wir reden gerne über Martin. Inzwischen können wir sogar über seine Schattenseiten lachen.
Wie geht ihr als Familie damit um?
Aus meiner Sicht ist es uns gelungen, unser oft schönes Familienleben zu leben. Wir arbeiten gut zusammen und wir freuen uns so sehr, dass es inzwischen auch für Michael Junior und seine Frau Nina eine freudvolle Perspektive ist, die Landwirtschaft fortzusetzen. Unsere Tochter Christiane lebt an den Wochenenden bei uns. Das tut uns allen gut
Wir mussten auch lernen, dass die eigene Art zu trauern nicht mit der der anderen gleich sein muss. Ich gehe gerne auf den Friedhof, inzwischen allein, weil ich weiß, dass es meinem Mann so nicht guttut.
Inzwischen können wir Weihnachten wieder gut miteinander feiern. An diesem Tag gehen wir alle gemeinsam auf den Friedhof und weinen und reden über Martin. Danach ist leichter, und wir haben gemeinsam eine gute Zeit.
Inzwischen kommt auch Michael nach Hause. Ich darf heute mit den beiden zu Mittag essen. (mit inklusive Bananensplit.)
Was hilft jetzt?
Beide freuen sich gerade sehr, wie das Leben trotz immer wieder großer Ansprüche weiter geht. Es hat jetzt eine Weile gedauert bis klar wurde, dass es für Michael jun. auch gut ist, dass er die Landwirtschaft weiterführen will.
Und die großen Freuden bleiben auch da. Michael sagt, das Gute ist da- überwiegt über weite Strecken.
Helga zum Abschluss über den so frühen Tod von Martin: „Ich bin überzeugt, dass jeder Mensch seine Zeit und seinen Platz zum Leben und Sterben hat.“
Nacho streckt sich- sichtlich zufrieden. Und er verlässt stolz seinen Ruheplatz für neue Abenteuer.